Sowohl in den Anhörungen als auch und vor allem in der täglichen Arbeit der Kultureinrichtungen geht die Technologiediskussion weiter und wird durch disruptive „plötzlich auftauchende“ Technologien wie Large Language Models (ChatGPT, Grok, Copilot usw.) angefeuert. Zudem werden mittlerweile in verschiedenen Bereichen Plattformen aufgebaut, um Synergien zu ermöglichen. Notwendig ist, diese Entwicklungen zu verfolgen, für die eigene Anwendung in den Kultureinrichtungen zu evaluieren und mit den angestrebten Lösungen zu verbinden. Bislang gibt es kaum Möglichkeiten, wirklich innovative Technologien wie etwa Künstliche Intelligenz breiter einzusetzen. Hier wird das von Kulturbetrieben in unseren Anhörungen und der Umfrage angesprochene Thema der Kooperation und des Austausches von Erfahrungen essenziell.
Diese Technologien benötigen und ermöglichen zugleich neue Organisationsformen und Rollen, die mitgedacht werden müssen.
3.1 Künstliche Intelligenz (KI) als Game Changer?
Sehr viele der oben angesprochenen Lösungen im Bereich der Digitalisierung von Prozessen basieren auf der Technologie der Künstlichen Intelligenz bzw. seiner schwachen Form: dem maschinellen Lernen. Large Language Models (LLM) (ChatGPT, Grok, Bing, Llama ...) haben die Tragweite dieser Technologie und ihrer Verwendungsmöglichkeiten verdeutlicht. Für Kulturinstitutionen sind derartige Modelle interessant: Ging man zuvor davon aus, dass einzelne Institutionen ihre Anwendung mit eigenen Daten mühsam trainieren müssen (Supervised Learning), sind LLMs sogenannte Foundation-Modelle. Sie verwenden Daten, die für mehrere Anwendungsbereiche Gültigkeit haben, vermindern so den Adaptierungsaufwand und sind für Institutionen einsetzbar, die eine ungenügende Datenbasis bzw. knappe Trainingsressourcen aufweisen. Für den Kulturbereich sind folgende beispielhafte Einsatzbereiche für KI erkennbar:
3.2 Hybride Welten des Austausches
Die beschriebenen technischen Entwicklungen machen ein erweitertes Verständnis kultureller Einrichtungen möglich. Indem sie sowohl physische als auch virtuelle Elemente umfassen, können sie ein digital-analoges Netzwerk für den Austausch über organisatorische Grenzen hinweg bieten, die Vielfalt fördern und die Bildung von Gemeinschaften (Communities) unterstützen, die auf gemeinsamen Interessen und Erfahrungen beruhen.[1]
Analoge Räume sind dazu geeignet, digitalen Verflüchtigungen entgegen zu wirken. Der Soziologe Ray Oldenburg hat maßgeblich zum Verständnis und zur Popularisierung des Konzepts der „Dritten Orte“ beigetragen.[2] Sie sind definiert als Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die sich abseits der Privatsphäre (der „Erste Ort") und des Arbeitsplatzes („Zweiter Ort") befinden. Sie sollen als konkrete Räume Möglichkeiten für Kommunikation und Austausch bieten.
Leitend ist das Prinzip „Building Communities, not Audiences“, was bedeutet, dass hier temporäre Gemeinschaften von Menschen zusammenkommen, die ihre unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse nicht trennen, sondern miteinander verbinden. Effektive Dritte Orte müssen ständig offen für neue Impulse von außen sein und sich durch eine fortwährende Dynamik auszeichnen, um als divers und inklusiv zu gelten. Die Dynamik macht sie zu essenziellen Verhandlungsräumen für grundlegende gesellschaftliche Werte wie Demokratie und Toleranz. Häufig besteht eine enge Verknüpfung zwischen physischen Dritten Orten und digitalen Communities, was der Hybridität unserer postdigitalen Welt entspricht.
Gerade in einer Zeit, in der digitale und physische Räume immer mehr miteinander verschmelzen, eröffnet sich hier eine besondere Chance für Kultureinrichtungen, sich neu zu erfinden und ihr Angebot sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt weiterzuentwickeln, um auf diese Art mehr Menschen anzusprechen und einzubeziehen. Damit werden sie zu unverzichtbaren Bestandteilen einer lebendigen kulturellen Infrastruktur und tragen entscheidend dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer immer diverser und leider auch polarisierteren Welt zu stärken.
Der Klimakompass - ein Vorhaben der Landesbibliothek Schleswig Holstein

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[1] Wolfram, G. (2019): Dritte Orte, andere Menschen? Online verfügbar: https://www.kiwit.org/kultur-oeffnet-welten/positionen/position_10816.html
[2] Oldenburg, R. (1989): The Great Good Place. New York.
3.3 Plattformen als neue Organisationsform der Kollaboration und des Nutzendenerlebnis
Technologien wie KI und neue, hybride Organisationsformen wie Dritte Orte werden, dieser Logik folgend, mit virtuellen Plattformen verknüpft. Sie sind sogenannte Intermediäre zwischen Nutzenden und Produzierenden und ermöglichen einen personalisierten und effizienten Austausch, Kommunikation und Kooperationen über die Grenzen klassischer Institutionen hinweg. Gleichzeitig lassen die Plattformen durch Auswertungen ihrer Nutzung neue Bedarfe erkennen und können so als Innovationstreiber fungieren. Sie sind eine Brücke zwischen dem virtuellen und dem realen Ort der Kultureinrichtungen.
So soll sich die Sichtbarkeit von Kulturinstitutionen in einem immer komplizierteren und von dominanten privaten Marktteilnehmern der Digitalwirtschaft geprägten Feld erhöhen und durch Personalisierung, Micro Targeting und Predictive Analytics neue Erfahrungen und Nutzungsmöglichkeiten, für die Nutzerinnen und Nutzer bis hin zu neuen Zielgruppen geschaffen und gefestigt werden.

3.4 Neue strategische Rollenbilder für Kultureinrichtungen
Die skizzierten technologischen und organisatorischen Lösungen lassen sich in Bezug auf mögliche strategische Rollenbilder bzw. Schwerpunkte von Kultureinrichtungen in der digitalen Gesellschaft zusammenfassen (s. Abb. 4), nämlich Foundations für die digitale Bewahrung, Transformatoren für die Entwicklung der Gesellschaft, Heritage für die Vermittlung des Kulturerbes und Engagement, das sich mit aktuellen Themen auseinandersetzt.
Die Rollenbilder können für die weitere Entwicklung von Kultureinrichtungen in der digitalen Transformation als Leitplanken dienen:
- Die lebensnahe Bewahrung als Leitbild einer Kultureinrichtung. Sie bietet neue Lern-möglichkeiten in der Vermittlung kulturellen Erbes. KI ermöglicht es verstärkt, Artefakte, historische Fakten, Landschaften und Personeninformationen mithilfe von Technologie „wiederauferstehen“ zu lassen. KI bietet die Möglichkeit, auch über digitale Wege „vergessene“ Fähigkeiten und Lösungen wieder zu erlernen oder neue Fähigkeiten zu erwerben.
- Integration neuer Zielgruppen und freier Produzenten von Kulturinhalten ist in Kultureinrichtungen ein wesentlicher Bestandteil zeitgemäßer Publikumsentwicklung. Durch digitale Verbindungen können kulturinteressierte Personen, aber auch bisher diesen Organisationen ferne Personen, integriert werden, indem man etwa virtuelle Games als neue Verbindung nutzt. Interessierte werden zu (von KI gestützten) Co-Produzenten von Kulturinhalten und Produktionen, wie Filmen und Veranstaltungen.
- Überraschung als Leitmotiv von Kultureinrichtungen ist die geeignete Form ihrer Kommunikation, zumal in Gesellschaften, in denen das Verhalten zunehmend errechnet und von Maschinen vorhergesagt wird. Kunst und Kultur sollen verunsichern und so den Kopf freimachen für neues Denken und neue Ideen. Hierzu müssen Kultureinrichtungen neue Orte nutzen und miteinander kooperieren, um Neues und Überraschendes zu erstellen. Plattformen und Vernetzungstechnologien helfen dabei.
- Kultureinrichtungen als Orte der Veränderung: In einer sich wandelnden Gesellschaft müssen neue Fähigkeiten und Kooperationen entwickelt und getestet werden, etwa im Bereich der Nachhaltigkeit oder der Digitalisierung. Kulturinstitutionen eignen sich hierfür besonders gut, da sie zum einen den Rückgriff auf Vertrautes ermöglichen und Halt und Sicherheit bieten, zum anderen aber auch Visionen auf neue Ziele und Lösungen stimulieren. Kulturinstitutionen haben in der Geschichte oft Transformationen begleitet und unterstützt. Die digitale Transformation der Kultureinrichtungen verlangt eine andere Art der Partizipation der vormals oft passiven Nutzenden, die über Plattformen und digitale Medien mobilisiert und an die Kultureinrichtung angebunden werden können.
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